Krieg gegen den Friedensvogel

 

Elke Heidenreich (Autorin und Kabarettistin )

(C) Felix Baumgardt 2016

Natürlich: Zwangsgelder, Strafen, Beugehaft für Menschen, die Tauben füttern. So löst man das Problem. Welches Problem eigentlich? Die Tauben werden hochstilisiert zu der Großstadtplage schlechthin; man versteigt sich sogar soweit, sie als „Ratten der Lüfte“ zu bezeichnen. Aber nur bei uns in Deutschland. Dieselben Deutschen, die hier dieses friedlichste aller Tiere mit so viel Hass verfolgen, kaufen im Urlaub auf dem Markusplatz in Venedig Körner und lassen sich mit Täubchenschwarm fotografieren. Andere Länder kennen die Taubenhysterie nicht, und wir kannten sie früher auch nicht. Als wir Kinder waren, im Ruhrgebiet nach dem Krieg, gab es nichts Schöneres, als mit Opa und Onkel Theo nach der Schicht „auffem Pütt“ in die Taubenschläge unterm Dach zu kriechen, wo gegurrt und geflattert wurde, wo wir den liebevollen und verantwortungsbewussten Umgang mit diesen wunderbaren und so klugen Tieren früh lernten, und wir machten auch die Taubenscheiße weg, und nie ist einer von uns dadurch krank geworden — das ist das infamste in Umlauf gebrachte Märchen. Und den Kölner Dom zerstört auch nicht das bisschen Taubenkot, das jeder Regen wieder wegwischt, nein, das besorgen ganz allein die Abgase.

Trotzdem, man kann aufklären so viel man will, die Antipathie gegen die Tauben bleibt. Sie haben keinen Ort, an dem sie brüten oder auch nur in Ruhe sitzen können. Es gibt keine Ruinen, Türme, Schlupflöcher mehr für sie. Überall werden sie vertrieben, wo es geht, mit spitzen Nägeln oder Drähten auf Fensterbänken. Wir sehen sie mit verletzten, verkrüppelten Füßen mühsam nach Futter suchen. Die Menschen, die Jahrhunderte lang friedlich mit diesem Vogel zusammenlebten, führen Krieg gegen ihn, einen erbarmungslosen, grausamen Krieg. Nur wenn geheiratet oder eine Olympiade eröffnet wird, dann dürfen hundert weisse Täubchen fliegen — weiße. Ist da irgendeine Assoziation erlaubt, dass weiß edler ist als farbig?

Wie dem auch sei — es war die Taube, die Noah nach der Sintflut den Ölzweig auf die Arche brachte. Die Taube half Aschenputtel, den Prinzen zu bekommen, Picasso liebte und malte die Taube als Tier des Friedens in allen Variationen und nannte seine schöne Tochter nach ihr, Paloma. Brieftauben waren die Freude der Bergleute, Tauben werden wegen ihres erstaunlichen Ortssinns zur Rettung Schiffbrüchiger eingesetzt, ach, was soll ich weiter aufzählen — es nützt nichts. Wir bekämpfen dieses sanfte, schöne Tier, unser Hass findet da sein Ventil. Dabei könnte jede Stadt — wie es z. B. Städte wie Baden-Baden vorgemacht haben — mit Taubenschlägen die Population gezielt steuern, auf die Gesundheit und den Nachwuchs der Tiere achten und dafür sorgen, dass die Tauben wieder friedlich mit uns leben, satt sind, nicht in die Innenstädte müssen, um zu betteln.

Wie erklären Sie denn ihren Kindern, wenn eine Taube auf zwei Beinstümpfen vor ihnen bettelt, wenn ihr Schnabel mit Kaugummi verklebt, wenn die Beine sich mit Plastikschnüren verheddert haben? Gehen Sie einfach weiter, sagen Sie: „Das sind nur blöde Tauben?“ Und weint Ihr Kind dann nicht, hat es nicht Mitleid? Was machen Sie mit diesem Mitleid, treten Sie diese Glut früh genug aus? Ja. Und so sieht sie ja auch aus, unsere schöne liebevolle Welt.

Ich bin traurig über das Elend dieser geschundenen und verfolgten Tiere in einem Land, das sich auf seine Tierliebe so viel einbildet. Jeder Tierschutzverein könnte die Städte im richtigen Umfang mit Tauben beraten. Glasscherben auf den Fensterbänken, der Tritt nach der Taube in der Fußgängerzone und Fütterungsverbote gehören gewiss nicht zu den richtigen Maßnahmen. Wie roh wir geworden sind, wie dumm, wie wir alles nachplappern, anstatt hinzusehen. Ich schäme mich. Und füttere, wo es nötig ist.

gez. E. Heidenreich, Juli 2000.

Bild Felix Baumgardt 2016

Vielen Dank für diesen wundervollen Beitrag!

 

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Hier findet ihr einen weiteren Artikel zum Thema, ich bin zwar nicht sonderlich erfreut das manch einer die Tauben los werden will aber wenn es wirklich schonend gemacht wird: Die besten Tipps gegen Tauben auf dem Balkon

 

 

 

 

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